Beidseitige Hahnentritt-problematik

Vorbericht

Eine 9-jährige Mecklenburger Stute wurde aufgrund einer akut aufgetretenen beidseitigen hahnentrittartigen Fußung (Stringhalt) zur weiteren Abklärung in der hiesigen Klinik eingestellt. Vorberichtlich war die Symptomatik akut ohne sichtbare Ursache auf einem Dressur-Lehrgang aufgetreten.

Untersuchungsbefunde

  • beidseitig hochgradiger Hahnentritt (Grad 5), wobei beide Hintergliedmaßen zeitgleich, ruckartig mit maximaler Flexion der Tarsalgelenke unter den Bauch gezogen wurden (s. Abb. 2, 3)

  • Vorwärtsbewegung des Pferdes nur sehr erschwert möglich

  • keine pathologischen Befunde bei Palpation

  • das Allgemeinbefinden war ungestört

Abb. 1 und Abb. 2
Das „Ferkelkraut“ (Hypochaeris radicata) wird als auslösendes Agens des Australian stringhalt vermutet.
Die abgebildete Pflanze zeigt eine grundständige Rosette aus länglich-lanzettlichen, deutlich gezähnten und dicht behaarten Blättern. Aus der Blattrosette wächst ein aufrechter, blattloser und ebenfalls behaarter Blütenstängel, der ein einzelnes körbchenförmiges Blütenhaupt trägt. Die Blüte besteht ausschließlich aus gelben Zungenblüten und erinnert in ihrer Form an die des Löwenzahns (Taraxacum officinale), ist jedoch insgesamt zierlicher. Die Pflanze wächst typischerweise auf extensiv genutztem Grünland, an Wegrändern oder auf mageren Böden und kann unter bestimmten Bedingungen in größerer Zahl auftreten.

Abb. 3
Der Patient zeigt das charakteristische „bunny hopping“, welches gekennzeichnet ist durch eine beidseitige Hyperreflektionsstellung der Hintergliedmaßen

Abb. 4
Am Tag der Erstvorstellung verharrt die Stute in Hyperflexionsstellung der rechten Hintergliedmaße für einige Sekunden und ist zeitweise Bewegungsunfähig (Grad V-Symptomatik)

Weiterführende Untersuchungen

Es wurde eine ausführliche Blutanalyse mit Bestimmung des EHV-Titers durchgeführt. Die Blutwerte befanden sich im Referenzbereich.

Die oberen Atemwege wurden endoskopisch untersucht, um eine Kehlkopflähmung auszuschließen. Diese lag nicht vor.

Diagnose

Beidseitiger hochgradiger Hahnentritt unklarer Genese (vermutlich toxisch bedingt)

Therapie & Verlauf

Bei der Therapie kommen zentrale Muskelrelaxantien und Antikonvulsiva, sowie chirurgisch die Tenotomie der Sehne des M. extensor digitalis lateralis zum Einsatz. Die Stute wurde in der Klinik zunächst über einen Zeitraum von einer Woche mit einer Kombination zweier verschiedener Antikonvulsiva behandelt. Da nur eine geringfügige Besserung auftrat erfolgte eine Umstellung der Medikation auf Methocarbamol, welches ebenfalls mit einem Antikonvulsivum kombiniert wurde. Das Gangbild verbesserte sich unter dieser Therapie deutlich (s. Abb. 4). Im Schritt war phasenweise die Ganganomalie nicht mehr sichtbar, jedoch muss die langfristige Prognose vorsichtig gestellt werden.

Diskussion

Der Hahnentritt ist in Deutschland eine eher selten auftretende Erkrankung, der verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Ätiologisch wird der einseitige „atypische Hahnentritt“, bedingt durch z.B. Spat oder Verletzungen vom bilateralen „Australian stringhalt“, bedingt durch eine Intoxikation unterschieden. Auslöser für den Australian stringhalt ist u.a. das „Gewöhnliche Ferkelkraut“ (Hypochaeris radicata), das zu einer Neurodegeneration führt (s. Abb. 1). Nach Toxinaufnahme kann es bis zu zwei Wochen zu einer Symptomverschlechterung kommen. Obwohl Spontanheilungen beschrieben sind, dauert es bis zur Symptomfreiheit teilweise drei Jahre. Da Ferkelkraut auch in der hiesigen Gegend (insbesondere Brandenburg) vorkommt, liegt die Vermutung nahe, dass im vorliegenden Fall die Aufnahme dieser Pflanze die Symptomatik induziert hat.  Bei Auftreten einer beidseitigen Hahnentrittsymptomatik sollte die Intoxikation durch Ferkelkraut in Betracht gezogen werden.

Wird das Pferd schnellstmöglich der Exposition mit der Pflanze entzogen, so kann eine vollständiger Rückbildung der neurologischen Symptome erzielt werden und ein Einsatz im Reitsport ist wieder möglich. Bei anhaltenden Bewegungsstörungen kann dieser allerdings stark eingeschränkt sein, oder sollte vollständig eingestellt werden.

Literatur

Hahn CN et al.

Phenylephrin-eyedrops as a diagnostic test in equine grass sickness

The Veterinary Record, Nov 18, 2000